„Wenn jemand mich früher fragt, ob es möglich sei, in einem solchen Verfahren 48 Stunden lang wach und aktiv mitzumachen, sage ich sicherlich nein”

2 Januar 2020

– Interview mit den Anästhesiologen, Dr. Erzsébet Ezer und Dr. Katalin Szenohradszki

Am Narkoseverfahren der Trennungsoperation der Zwillinge aus Bangladesch haben drei ungarische Anästhesiologen teilgenommen: Dr. Marcell Csapody aus Budapest, Dr. Erzsébet Ezer, klinische Fachärztin und Abteilungsleiterin des Instituts für Anästhesiologie und Intensivtherapie, und Dr. Katalin Szenohradszki, klinische Fachärztin haben im OP-Raum einen Dienst über 36 Stunden mit minimaler Auszeit und in der postoperativen Phase täglich 12-14 Stunden an der Intensivstation geleistet. In den Nächten haben sie in einem für sie freigegebenen Patientenraum gewohnt.

Auch ihre hingebungsvolle Arbeit hat dazu beigetragen, dass die Kinder die außergewöhnlich lange Operation überstanden haben Wie bekannt ist das ungarische Ärzteteam der Stiftung „Handeln für die Ausgelieferten“ im Jahr 2017 beauftragt worden, die damals anderthalbjährigen Zwillinge Rabeya und Rukaya zu trennen. Die Trennung des gemeinsamen Hauptblutgefäßabschnittes im Gehirn bedeutete die erste Phase der völlig von ungarischen Ärzten geplanten und ausgeführten Operation Freedom Trennungsoperationsreihe, die mit einer endovaskulären Methode durchgeführt worden ist. Die zweite plastisch-chirurgische Phase war die Einsetzung eines in Ungarn geplanten Gewebeerweiterungssystems und seine ein halbes Jahr lang dauernde allmähliche Erweiterung. Die am Anfang August 2019 ausgeführte endgültige Trennung war die dritte Phase der Operationsreihe, wobei die zwei Pécser Experten auch mitgeholfen haben.

 

Verfasst von Rita Schweier

 

- Wie wurden Sie als Pécser Mitglied des Operationsteams?

K.Sz.:- Neben Dr. András Csókay und Dr. György Szeifert haben wir als Anästhesiologen in Januar in Nigeria an der Versorgung von dortigen Patienten in einem katholischen Krankenhaus in Onisthai teilgenommen und anhand der dortigen Erfahrungen hat uns Dr. András Csókay zur großen Trennungsoperation in Bangladesch eingeladen.

- Es weist darauf hin, dass Sie in Nigeria auch gut zusammenarbeiten konnten.

K.Sz.:- Ja, wir haben uns auf die dortige Arbeit seelisch gut vorbereitet und wir haben versucht, uns an die dortigen Ausrüstung und Umstände von – für uns unakzeptabel – niedrigem Niveau anzupassen. Wir wollten die in unerwarteten Situationen vorgekommenen Probleme lösen und dies hat einen guten Eindruck gemacht.

- Unerwartete Situationen gab es auch in Bangladesch.

E.E.:- Tatsächlich konnte man sich auch wegen der Eigenschaften der Aufgabe dafür nicht richtig vorbereiten. Die Umstände waren aber in großen Zügen unterschiedlich von den Erfahrungen in Nigeria, da wir in Bangladesch in dem OP-Saal und an der postoperativen Intensivstation eines sehr gut ausgerüsteten Militärkrankenhauses gearbeitet haben. Vor der Operation haben wir bereits Kontakt mit den dortigen Kollegen aufgenommen und wir haben auf einer Liste – mit unserem Mitarbeiter in Budapest, Dr. Marcell Csapodi vereinbart – alles bestellt, was wir für die Operation gebraucht haben. In den Wochen vor der OP haben die Kollegen gemeldet, dass sie es geschafft haben, alles zu besorgen, jedoch haben wir die wichtigsten Geräte in unseren Koffer gepackt. Zum Glück haben wir dieses doch nicht gebraucht, da die Ausrüstung wirklich weltklassisch war, soll es um einen Videolaryngoskope oder um die verschiedenste Kanüle handeln. In dieser Hinsicht stand uns alles zur Verfügung, das einzige Problem lag in der Suche des speziellen Blutes, aber sie haben es auch gelöst.

K.Sz.:- Zwillinge, die am Kopf zusammengewachsen sind, werden Craniopagus genannt, für die Trennung gab es schon öfters Versuche, mit mehr oder weniger Erfolg. Diese war der erste Eingriff, der in einem Land der dritten Welt ausgeführt worden ist und in der Hinsicht erfolgreich war, dass die Trennung der Kinder technisch gesehen tatsächlich geschehen ist. Die Operation ist von einem von Dr. Gergely Pataki, Leiter der Stiftung „Handeln für die Ausgelieferten“ organisierten Ärzteteam vorbereitet worden. Dr. István Hudák hat in mehreren Sitzungen in Bangladesch die aus Sicht der Blutung gefährlichsten gemeinsamen Gehirnvenen durch Katheter abgeschlossen. Diese war eine Grundvoraussetzung für die Ausführung der späteren Trennungsoperation. Der Ort der endgültigen Eingriffe ist auch von diesem Ärzteteam ausgesucht worden, so sind wir an diesem weltklassigen Ort gelandet. Während der Operation waren zwei Anästhesiologen und Fachassistenten pro Kind anwesend, aber auch so haben wir ohne Pause gearbeitet. Die mehrstündige plastische Vorbereitungsoperation ist von einer sehr langen von Dr. András Csókay ausgeführten nervenchirurgischen Operation gefolgt worden. Nach der Trennung folgte der von Dr. Gergely Pataki geführte plastische chirurgische Eingriff, die Rekonstruktion der Kopfhaut. Theoretisch waren wir für 8-Stunden-Wechsel eingereiht, aber wir Ungar haben es nicht gewagt, zu schlafen. Wir haben insgesamt einmal eine, und dann einmal eine anderthalbstündige Pause außerhalb des OP-Saals gemacht.

E.E.:- Wenn jemand mich früher fragt, ob es möglich sei, in einem solchen Verfahren 48 Stunden lang wach und aktiv mitzumachen, sage ich sicherlich nein. Dann stellte es sich heraus, dass es doch möglich sei. Gegen der 54. Stunde konnte man schon spüren, dass die Stimmen vom Weiten kommen, da haben wir gewusst, dass wir uns ausruhen müssen, weil wir wegen der Müdigkeit auf keinen Fall schlechte Entscheidungen treffen dürfen. Wir haben 5-6 Stunden geschlafen, obwohl unser Gehirn zuerst nicht ruhen konnte, dann aber war alles wie ausgeschaltet.

- Wie kann man sich dieser lange Narkoseprozess vorstellen?

Sz.K.:- Die Narkose der teilweise über gemeinsame Blutzirkulation verfügenden Kinder ist durch eine in eins der Kinder eingeführte Kanüle gestartet worden, danach mussten wir weitere Venen, zentrale venöse Kanüle, die zur invasiven arteriellen Druckmessung nötige Arterie, und die zur Atmung nötige Atemwege sichern und die Magensonde einführen. Die Kleinen mussten ganz speziell gelegt werden, damit die Sterilität und der Zugang für das Ärzteteam gesichert werden kann. Die Arzneimitteldosierung musste auch ständig und mit großer Achtsamkeit überprüft werden. Es gab einen seriösen Blutverlust in manchen Operationsphasen, auch wenn die größten gemeinsamen Venen früher geschlossen worden waren. Den Kindern mussten ein hoher Dosis RBC Transfusion und Gerinnungsfaktoren gegeben werden.

- Ich schätze, die an der hiesigen nervenchirurgischen Abteilung erworbene Erfahrung hat Selbstbewusstsein, Stärke und Glauben dazu gegeben, dass Sie bei so einer heroischen Operation die Stellung halten konnten.

E.E.:- Ja, besonders die an der nervenchirurgischen Intensivstation und in der Anästhesiologie verbrachten Jahren haben dazu beigetragen, die Einladung zur Teilnahme an der Operation annehmen zu wagen. 

K.Sz.:- In den letzten 20 Jahren haben solche nerven- und schädelchirurgischen Operationen an der Klinik für Nervenchirurgie stattgefunden, die uns sehr vielfältige Erfahrungen gebracht haben. Wir haben schwere Operationen bzgl. Gehirnrumoren und verschiedener Verletzungen vom Babyalter bis hin zu spätem Alter durchgeführt, aber an so einem langen Eingriff haben wir noch nicht teilgenommen. Der langen Operation folgte die postoperative und sehr seriöse Behandlung an der Intensivstation, die uns vor zahlreichen unerwarteten zu lösenden Situationen gestellt hat. Wir sind nach zwei Wochen nach Hause gekommen, aber unser Kollege aus Budapest ist noch bei den Kleinen geblieben, um sie weiter zu behandeln. 

- Menschenleben ist Menschenleben, soll es sich um Erwachsene oder um Kinder handeln. Doch zwei winzig kleine Menschen haben am OP Tisch gelegen.

K.Sz.:- Wir sind keine Spezialisten für Kinderanästhesiologie, auch wenn wir uns mit solchen kleinen Patienten bereits getroffen haben, aber es hat unsere Arbeit doch erschwert und natürlich hat es auch emotionell Spuren in uns hiterlassen. Neben den Dilemmas zu lösen, mussten wir uns auf die Professionalität fokussieren. Das ist uns auch gelungen, obwohl wir ab und zu Magenkrämpfe wegen der Kinder bekommen haben, ob sie es überleben werden oder nicht. Als wir sie getrennt in mehr oder weniger stabilem Zustand auf die Intensivstation gebracht haben, konnte ich immer noch nicht glauben, dass die Operation gelungen ist. Es lag auch daran, dass es während der Operation viele Schwierigkeiten gab: Stoffwechselstörung, Blutungen und Beatmungsprobleme.

E.E.:- Das Ganze war wie im Apollo 11, wo die Astronauten eingestiegen sind, ohne zu wissen, wohin genau sie hinkommen sollten. Wir sind mit dem Rucksack am Rücken hingegangen, um eine Aufgabe zu lösen, wir wussten, dass wir zu unserer Unterkunft für eine Weile nicht zurückkehren werden, wir haben unsere Arbeit gemacht, und als wir schon an der Intensivstation waren, da bin ich zu mir gekommen und mich gefragt ob das Ganze tatsächlich geschehen ist, oder ich es nur geträumt habe. Da ist es mir bewusstgeworden, wo ich bin und dass es getan ist.

K.Sz.:- Während der Arbeit bereitete es auch Schwierigkeiten, dass wir mit einem sehr netten, hilfsbereiten, kooperativen, aber aus anderer Kultur stammenden und eine andere Sprache sprechenden – Englisch wurde auch von jedem mit eigener Akzent gesprochen – Team zusammenarbeiten mussten, mit denen wir uns erst 3 Tage vor der OP persönlich getroffen hatten. Während der Arbeit gab es auch logistische und Kommunikationsprobleme, also mussten wir auch darauf Acht geben, dass sich niemand verletzt fühlt, da wir uns im Kommunikationsprotokoll nicht sicher waren.

- Diese Operation war ein gutes Beispiel auch dafür, dass Sie beide miteinander ausgezeichnet zusammenarbeiten können.

K.Sz.:- Wir arbeiten seit langen Jahren zusammen, unsere Kooperation hat an der Intensivstation angefangen. Heutzutage arbeite ich meistens im OP-Saal, Erzsi leitet die Intensivstation. Wir versuchen, immer einander ergänzend und sehr effektiv zusammenarbeiten, diese haben wir auch mit unserem Kollegen, Dr. Marcell Csapody aus Budapest hinbekommen. Mit ihm konnten wir auch schnelle und gute Entscheidungen treffen. Ich denke, dass unsere Anwesenheit in Bangladesch während, vor und nach der Operation an vielen Punkten unentbehrlich war. Vor der Operation haben wir gemeinsam einen postoperativen Raum für die Kinder gesucht. Die Kooperation und die Flexibilität der Kollegen aus Bangladesch werden dadurch bestätigt, dass nachdem wir den Raum ausgesucht hatten, sie innerhalb von 24 Stunden ihn absonderten und vorbereiteten, bzw. sie organisierten den Tag-und Nachtschicht von jeweils einem Arzt und einer Krankenschwester pro Kind. Es war eine riesengroße Erfahrung und Verstärkung, dass man so freundlich mit einem aus einer ganz anderen Kultur stammenden und manchmal über verschiedene Denkweise verfügenden Team zusammenarbeiten kann.

-  Wann haben Sie sich mit den Eltern getroffen?

E.E.:- Wir haben sie erstmal in Budapest gesehen, aber da haben wir uns nur vorgestellt. In Dakka haben wir sie aber tagtäglich getroffen, da sie vor und nach dem Eingriff die ganze Zeit da waren. Es war schwer, die Sorge in ihren Augen zu sehen, und zuzusehen, dass sie nur dort sitzen und warten. Nach der Operation hat die Mutter kaum gewagt, zu den Kindern reinzugehen, sie anzufassen. Diese waren ergreifende Momente.

- Ist es eine komplette Familie?

E.E.:- Ja, Mutter, Vater und die Schwester der Zwillinge, ein Mädchen im Alter von so 10 Jahren, das Ungarisch ganz gut erlernt hat, da sie oft in Budapest war. Eine Familie von Intelektuellen, die Mutter ist Lehrerin, aber während der Schwangerschaft hat sich das nicht herausgestellt, dass es Probleme mit den Babys gibt, da dort Unterschalluntersuchungen nicht tägliche Routine sind. Sie haben die Probleme erst bei der Geburt gesehen. Während der Operationszeit haben sie in einem geänderten Patientenraum gewohnt, sie haben einen Teppich und paar Spielsachen bekommen.

K.Sz.:- Der OP-Saal – am schönsten und modernsten des Krankenhauses in Dakka – ist in den Tagen vor der OP mit Kameras versehen worden, sie hatten große Displays – auch in unserem Speisesaal – aufgestellt, damit die Geschehnisse stets verfolgt werden können. Wir haben ständig die Monitore geguckt, auch als wir gegessen haben. Ich bin sogar während des anderthalbstündigen Schafes darauf aufgewacht, ob die Kinder noch leben. Bzgl. der Aufrechterhaltung des Stoffwechsels und der Zirkulation haben wir unsere Grenzen belastet, es gab viele unerwartete Änderungen mit vielen Schwierigkeiten. Ich kann mir nicht vorstellen, was das für die Eltern bedeuten konnte, dem Ganzen zuzusehen. Darüber hinaus gehört sich es in jener Kultur nicht, Gefühle zu zeigen, also wir konnten nur ein Teil davon mitbekommen, was die Mutter durchgemacht hat. Sie hatte stets einen serösen Gesichtsausdruck und wir konnten nicht wissen, was sie innerlich durchmacht. In Ungarn ist es gewohnt, dass ein Psychologe in so einer dramatischen Situation zur Seite steht, dort ist es aber nicht der Fall. Als Mutter habe ich nicht mal gewagt, mir vorzustellen, wie das alles sein mag. Auch die Verantwortung hat die Mutter belastet, dass sie um die Operation bat, und sie die Zustimmung gab, bzw. auch der Gedanke, wie sie damit umgehen wird, falls was schiefgehen soll.  

E.E.:- In Ungarn sehen wir auch, dass die Angehörige nicht einmal die Hand der Patienten an der Intensivstation zu berühren wagen. Wenn wir zu Hause so etwas sehen, gehen wir zu ihnen näher hin und wir dürfen sie unterstützend berühren. Dort durften wir es aber nicht, da dies von ihrer Religion und Kultur verboten wird. Am Ende wurden aber alle Regel gebrochen, die Emotionen hatten freien Lauf, wir haben uns gegenseitig umarmt. Dafür gab es höchstwahrscheinlich noch kein Beispiel, da eine Muslime keinen fremden Mann umarmen darf, nicht einmal in voller Kleidung. Dort sind auch die bei uns gewohnten freundlichen Geste verboten. In dieser Situation hat es aber nicht gezählt, wo und wer wir sind, nur das Gefühl selbst. Sowohl der Vater als auch die Mutter haben uns umarmt. Danach stellte sich aber alles wieder auf die normale Abstandhaltung.   

- Ich bin mir sicher, dass Sie den Schicksaal der Kinder weiterhin verfolgen werden.

E.E.:- Natürlich, wir haben mit den dortigen und die an der OP teilnehmenden ungarischen Kollegen eine gemeinsame Viber Gruppe, wo wir ständig miteinander kommunizieren. Wir bekommen regelmäßig Meldungen über den Zustand der Mädchen und wenn es nötig ist, geben wir den dortigen Kollegen Rat.

- Fahren Sie noch nach Bangladesch, oder ist Ihre Mission mit dieser Operation zu Ende?

E.E.:- Hoffentlich fahren wir noch hin, da die Behandlung noch nicht zu Ende ist. Kleinere Eingriffe warten noch auf die kleinen Mädchen. Wir hoffen, dass wir auch daran teilnehmen können. 

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