"Vermutlich warten noch viele Entdeckungen und Überraschungen auf uns"

17 Juli 2023

Dr. Bálint Lippai ist 27 Jahre alt, ein Arzt der ersten Generation, dessen Vorfahren zumeist Lehrer waren. Er kommt aus Seregélyes, ein Dorf mit 4-5000 Einwohner, das Gymnasium besuchte er in Székesfehérvár. Als Gymnasiast entdeckte er den Wettbewerb "Tudomány ami összeköt" (Wissenschaft, die verbindet), der in Pécs stattfand. In seiner Abhandlung schrieb er über die Proteine und kam sogar in die Finale. Als Prämie durfte er an einem Vorbereitungscamp für Gymnasialschüler auf die Universität teilnehmen. Danach beschloss er, sein Studium an der Medizinischen Fakultät der Universität Pécs fortzusetzen. Die Atmosphäre des Camps und die der Stadt spielten dabei ebenfalls eine wichtige Rolle. An der Universität wurde er von einem großen Teamgeist empfangen und er war auch von der Stadt Pécs fasziniert. Zurzeit ist er Doktorand im Institut für Biochemie und Medizinische Chemie und arbeitet als Mitglieder der Forschungsgruppe des Instituts im Szentágothai János Forschungszentrum. Seine Betreuer sind Dr. Ildikó Bock-Marquette, Forschungsprofessorin des Instituts für Biochemie und Medizinische Chemie und des Szentágothai János Forschungszentrums und Dr. Péter Bakó außerordentlicher Professor und stellvertretender Institutsleiter der Klinik für HNO und Kopf-Halschirurgie.

 

von Rita Schweier

 

"Die Tatsache, dass ich mich auch heute mit den Proteinen beschäftige, ist eher ein Zufall, obwohl dies auch das Thema meiner Abhandlung war. Diese Moleküle erfüllen zahlreiche Rollen im Körper von der Struktur bis zur Kommunikation zwischen Zellen. Ursprünglich interessierte ich mich für HNO, wobei mein HNO-Arzt meiner Kindheit eine große Rolle spielte. Während des Präparationspraktikum in Anatomie bekam ich auch zufällig den Kopf-Hals-Bereich. Diese Erfahrungen brachten mich noch näher zu diesem Gebiet. Währen des Unterrichtes in HNO im Klinikum sprach ich Dr. Péter Bakó an, dass mich für diesen Beruf vertieft interessiere und dass ich meine Arbeit im wissenschaftlichen Studentenzirkel bei ihm machen möchte. Damals arbeitete er und Dr. Ildikó Bock-Marquette an einem Tiermodell zur Untersuchung der Trommellfellperforation und dadurch kam ich mit der Grundforschung in Kontakt. Die Trommelfellperforation ist eine der Hauptursachen für Schallleitungsschwerhörigkeit. Die Perforation schließt sich in 80 Prozent der Fälle spontan, aber in 20 Prozent der Fälle wird sie chronisch. Die Lösung dafür ist bis heute der chirurgische Eingriff, aber es werden weltweit mehrere neue Ansätze ausprobiert. Ein solcher Ansatz ist die Anwendung bioaktiver Substanzen, die die Heilung erheblich fördern. Es laufen auch viele Experimente im Bereich der Fibroplasten-Wachstumsfaktoren, die ebenso der Heilungsprozesse der Gewebe beitragen. Unsere Forschung mit Thymosik Beta-4 gehört auch zu diesem neuen Trend" – erklärt er. 

Dr. Bálint Lippai gehört zu der Forschungsgruppe, deren Leiterin Dr. Ildikó Bock-Marquette ist, die vor Kurzem für ihre Arbeit und für die Ergebnisse mit genau diesem Peptid einen angesehenen internationalen Preis für ihr Lebenswerk erhalten hat. Ihre Forschungen haben gezeigt, dass dieses Protein einen revolutionären Durchbruch in der Behandlung der Herz-Kreislauf-Erkrankungen auslösen könnte. Die Rolle des Peptids wird weiter erforscht, da die Wirksamkeit des Moleküls komplex ist und ihre Hypothese ist, dass diese auch in anderen Organen die Gewebe- und Organregeneration fördern könnte.

Bálint Lippai interessiert sich seit dem Ende des vierten Studienjahres leidenschaftlich für dieses Gebiet. Er nahm an dem Wettbewerb des wissenschaftlichen Studentenzirkels teil und erbrachte auch dort hoche Leistungen. Im sechsten Studienjahr gewann er sogar seine Sektion und gelang dadurch in die nationale Konferenz des wissenschaftlichen Studentenzirkels. Als Vorstandsmitglied der ungarischen Sektion der Amerikanisch-Ungarischen Medizinischen Gesellschaft ist er in bei Organisation der jährlichen internationalen Konferenz in Balatonfüred aktiv tätig. 2020 gewann er mit seiner Präsentation seines Projekts über die Regeneration des Trommelfells den Hauptpreis der Konferenz. Der Preis war eine Reise zum Kongress der Mutterorganisation in Sarasota, Florida. Mit dem Voranschreiten der Forschungen präsentierten sie in der Zwischenzeit das Projekt am „6th International Symposium on Thymosins in Health and Disease” in Rom. Das Zentralthema der Konferenz, die jedes zweite Jahr in der Organisation der Entdecker der Proteine organisiert wird, war die Thymosin-Protein-Familie.

"Die Grundforschung verleiht einem eine sehr gute Perspektive und ein kritisches Denken, die bei der komplexen Krankenversorgung unentbehrlich sind. Über unseren Experimenten zur Regeneration des Trommelfells hinaus untersuchen wir das Vorhandensein und die mögliche Rolle von Thymosin Beta-4 bei der Entwicklung des Hörorgans der Mäuse. Neben den Grundforschungsprojekten kooperieren wir auch zur gleichen Zeit mit dem Klinikum. Mit ethischer Genehmigung untersuchen wir humane Trommelfell-Proben aus chirurgischen OP-Materialien. Bei der Sammlung der Proben habe ich die Möglichkeit, die Operationen zu beobachten, und ich kann dadurch den Prozess der Eingriffe direkt kennenlernen." – erklärt er.

Die Chirurgen führen bei Tumorerkrankungen im Ohr komplexe Kopf- und Halschirurgische Methoden durch. Dabei wird das Rohr im Mittelohr versiegelt und das gesunde, nicht betroffene Trommelfell entfernt. Mit dem Einverständnis der Patienten werden diese Trommelfellgewebe in den Forschungen verwendet. Das Trommelfell erfüllt nicht nur im Hören eine wichtige Rolle, es hat auch eine Barriere-Funktion: es verschließt das Rohr im Mittelohr, um die Infektionen zu verhindern.

Wie er erklärt, wird die Trommelfellprobe zuerst im Labor unter einem Mikroskop präpariert und dann auf ein mit Zellkulturmedium gesättigtes Kollagen-Gel gelegt. Die Trommelfellzellen beginnen dann, sich zu teilen und dringen in das Gel ein. Ein Teil der Zellen wird mit dem Medium behandelt, ein anderer Teil mit Thymosin Beta-4 Peptid. Die Migration bzw. die Reproduktionsrate der Zellen werden täglich mit Fotodokumentation verfolgt. Die einzelnen Proben werden verschiedenen Immunfärbeverfahren unterzogen oder es wird aus ihnen RNS isoliert, die zu weiteren analytischen Untersuchungen gesandt werden. Dies kann darüber Informationen geben, wie das Protein auf die Zellen des Trommelfells wirken.

"Unsere Hypothese ist, dass wenn das Protein eine markante Regeneration im Herz hervorrufen kann, ist es auch beim Trommelfell der Fall. Die positiven Wirkungen des Peptids wurden schon bei anderen Organen bewiesen, wie zum Beispiel bei Hornhautverletzungen und bei der Behandlung von bakteriellen Infektionen bzw. in bestimmten Verbändesorten bei der Behandlung verschiedener Hautverletzungen. Interessanterweise sind die Hornhaut und die Haut den gleichen embryonalen Ursprung, beide sind ektodermal, wie auch die Außenschicht des Trommelfells. Bei Tiermodellen ist es uns gelungen, im Fall des Trommelfells nachzuweisen, dass das Protein die Migration und die Reproduktion der Zellen fördert und wir haben sogar bei bestimmten Stammzellen positive Divergenzen feststellen können. Unsere Ergebnisse dazu haben wir im Februar dieses Jahres veröffentlicht. Des Weiteren erzielen wir neben den Untersuchungen der Ohrentwicklung die Schichten und die Stammzellen des Trommelfells aus dem Aspekt der Heilungsprozesse zu erforschen. Vermutlich warten noch viele Entdeckungen und Überraschungen auf uns" – meint er.

Er fügt noch hinzu, dass zwar viele Forschungsteams auf der Welt die Familie der Peptide untersuchen, aber deren Aspekte bezüglich der Hals-Nasen-Ohrenheilkunde zuerst die Forschungsgruppe der Medizinischen Fakultät der Universität Pécs beschrieben hat. Das nächste Thymosin-Symposium wird 2024 in Washington stattfinden, wo er hofft, weitere neue Ergebnisse bezüglich ihrer Forschungen des Trommelfells und der Entwicklungslehre präsentieren können.

Als Doktorand im zweiten Jahr sieht er schon, dass man eine Forschung nie beenden, höchstens abbrechen kann, da während der kreativen experimentellen Phase die neuen Ideen und Entdeckungen nacheinander eintreffen. Dies inspiriert ihn und deswegen möchte er die Teilnahme und die Mitarbeit an der Grundforschung auch dann fortsetzen, wenn er später eventuell auf das Klinikum fokussieren wird. Am besten würde er sich dann freuen, wenn seine Forschungen in der Zukunft auch in der täglichen Praxis genutzt werden könnten. Bis dahin wird er von der Freude, Neuartigkeit und Abruptheit der Entdeckung sowie von dem Erlebnis des Brainstormings mit den Forscherkollegen angetrieben. Er lässt sich auch nicht von der Tatsache abschrecken, dass dieses Gebiet nicht so gut finanziert ist wie die klinische Arbeit. Er ist für die multikulturelle Umgebung, für das Teamgeist und dafür sehr dankbar, dass er viel Neues lernen kann und dies auch vielseitig von der Universität unterstützt wird. Er ist besonders froh darüber, dass er keine Chefs, sondern Mentoren hat, auf die er immer zählen kann. Er hat der Kollegen im Labor bzw. der Mitarbeiter des Pathologieinstitutes viel zu danken, die ihn bei der Bearbeitung der histologischen Proben unterstützen.

Foto:

Dávid Verébi